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Jüdisches Leben
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Beitrag vom 11.09.2007
Die Anderen und das Judentum
Elisa Klapheck
Manchmal haben Außenstehende einen besseren Blick dafür, was das Eigene ausmacht, und können treffend in Worte fassen, was daran so gut ist. Ein Beitrag von Rabbinerin Elisa Klapheck
Rembrandt, so scheint es, hatte viele jüdische Freunde und verstand, was jüdisch ist. Die Anderen haben das in seinen Bildern erkannt. Irgendetwas Jüdisches steckt darin – schließlich wohnte Rembrandt im jüdischen Viertel Amsterdams und bekam dort täglich Anregungen, die sich in seinen Bildern, allein schon in den vielen Portraits von Juden, niedergeschlagen haben. Nun hat eine Ausstellung im Jüdisch Historischen Museum in Amsterdam nachgewiesen, dass nur ein einziges Bild von Rembrandt verbürgtermaßen einen Juden darstellt, nämlich das winzige Portrait des Arztes David Pinto, einem Nachbarn von Rembrandt. Alle anderen Bilder – die jüdische Braut, die angeblichen Portraits von Rabbinern und die vielen anderen alten Männer mit lebensweisen Gesichtern – sie alle stellen keine Juden dar und ihre Titel, die ein jüdisches Motiv suggerieren, sind nachträgliche Projektionen der Betrachter. Aber warum hat man trotzdem den Rembrandtschen Blickwinkel als "irgendwie jüdisch" identifiziert?
Auch Amsterdam, die Stadt, in der ich als Rabbinerin tätig bin, versteht sich als "irgendwie jüdisch". Große Mäzene des Fußballclubs Ajax Amsterdam sind Juden, so dass Ajax hier als ein jüdischer Fußballclub gilt. Die hiesigen Bürgermeister sind traditionell jüdischer Herkunft. Mit Job Cohen hat die Stadt nunmehr ihren vierten jüdischen Bürgermeister in Folge. Zwar ist Job Cohen völlig a-religiös und hatte neulich, bei der Präsentation der neuen niederländischen Bibelübersetzung, nur zu sagen, dass er das Werk ,genau wie die meisten anderen Amsterdamer, als uneingeweihter Laie lese, aber gerade das machte ihn erst richtig zu jenem säkular ausgerichteten, jüdisch-weltlichen Bürgermeister, den sich die Stadt als ihren Repräsentanten wünscht.
Kürzlich suchte mich ein junger Mann auf, der zum Judentum übertreten will. ´Warum?´, fragte ich ihn. Es sei das realistische Menschenbild, sagte er. Das Judentum baue auf einem Menschenbild, das den Menschen nicht idealisiere, das nicht von ihm erwarte, perfekt oder gar heilig zu werden – trotzdem habe man eine Chance ein ganzer Mensch zu werden, ohne sich dabei aufgeben zu müssen, ohne auf ein kommendes Leben vertröstet zu werden. Dieses realistische und deshalb positive Menschenbild sei so stark, dass es gleichermaßen orthodoxe, liberale und atheistische Juden hervorbringen könne, ohne dass sich das Jüdische in ihnen vermindere. Nicht die strenge Ausübung der religiösen Regeln sei das Entscheidende, sondern die durch sie in Jahrhunderten eingeübte, günstig gestimmte Einstellung gegenüber den anderen, stets fehlbaren Menschen.
Mehr zu Rabbinerin Elisa Klapheck im Interview mit AVIVA-Berlin von 2004.
Lesen Sie auch unsere Rezension zu Elisa Klaphecks Buch So bin ich Rabbinerin geworden.